Ganz kurz zur Einleitung, falls noch jemand nicht wissen sollte worum es geht:
Die ING-DiBa folgenden Werbespot geschaltet:
Dieser erfreute sich auf den verschiedenen sozialen Netzwerken großer Beliebtheit und wurde ordentlich geteilt und verbreitet.
Nach einigen Tagen aber häuften sich auf der Facebook-Seite der ING-DiBa die Beschwerden von Vegetariern und Veganern über den Spot und drohten ihre Konten zu kündigen. Mittlerweile hat sich diese Angelegenheit zu einem regelrechten Krieg um Toleranz, Egoismus, Selbstbestimmung und Ausbeutung entwickelt.
Nun schaue ich auf diese Geschichte aus dreierlei Sichtweisen. Ich bin Konsument. Ich bin beruflich im Umfeld von Social Media tätig. Ich bin Vegetarier.
Aus Konsumentensicht…
… und als jemand der 10 Jahre seines Lebens in Marketingabteilungen und Agenturen zugebracht hat, finde ich den Sport nicht sonderlich originell. Die Story wird schön erzählt, der Spot ist gut geschnitten. Passt schon. Aber das kommunikative Ziel ist mir nicht klar. Sicherlich stand im Briefing so etwas wie „Die Marke muss emotional aufgeladen werden“. Aber hey, was passiert denn da? Ein Basketball-Star kommt in die Metzgerei seiner Kindheit, alle freuen sich, er sieht seine (im übelsten Fleischerei-Fachverkäuferinnen-Klischee dargestellte) Jugendliebe, er bekommt ein Rädchen Wurst geschenkt und erinnert sich an seine Kindheit.
Und jetzt? Warum soll ich jetzt Kunde bei denen werden? Der am Ende hergestellte Zusammenhang „Wenn Du einfach mehr bekommst…“ wirkt doch eher bemüht, die Story noch mit den Produktvorteilen zu verknüpfen. Emotionale Aufladung hin oder her. Ich find das nicht so dolle.
Aus Sicht eines Social Media Beraters…
… ist das im Prinzip ein Shitstorm von vielen. Die Mechanismen sind ja meist sehr ähnlich.
Allerdings wird ING-DiBa sicherlich recht unvorbereitet getroffen. Denn ich denke auch mit einem guten Monitoring hätte das Unternehmen diese Entwicklung nicht voraus sehen können. Ein weiteres Problem: Es geht um ein hochemotionales Thema, das das Unternehmen nicht ursächlich verschuldete. Ähnlich wie vor einiger Zeit bei Adidas.
Im Moment scheint man bei ING-DiBa entspannt zu beobachten und das Problem aussitzen zu wollen. Die einzige Reaktion des Unternehmens war bisher ein Hinweis mit folgendem Wortlaut:
Würde ich das Unternehmen beraten hätte ich die Diskussion zwischenzeitlich kanalisiert. Denn das Unternehmen hat es derzeit sehr schwer seine eignen Nachrichten zu platzieren, da diese nach 20 Minuten im Wust der User-Statusmeldungen untergegangen sind. Das kann nicht Ziel einer Unternehmenspräsenz in einem sozialen Netzwerk sein.
Mein Ansatz wäre: Solange eine fruchtbare und auch gern emotionale Diskussion möglich und nötig ist würde ich diese laufen lassen, ein klares Statement abgeben und moderierend eingreifen. Zu einem Zeitpunkt wie diesem, in dem es fast nur noch um Provokation und unsachliche Beleidigungen geht, würde ich die Diskussion wie gesagt kanalisieren, um die Pinnwand wieder frei für echte Kommunikation zu machen. Möglichkeiten sind ein eigenes Tab auf das für die Diskussion verwiesen wird. Sofern ein Blog existiert, besteht die Möglichkeit auch hier einen eigenen Post als Diskussionsplattform anzubieten. Wichtig ist: Statusmeldungen nicht ohne Vorwarnung löschen, sondern das Vorgehen erläutern und eine alternative Diskussionsplattform anbieten.
Der Vegetarier in mir…
ist traurig. Weil mich das Lesen all dieser Einträge an Zeiten erinnert, die ich überwunden hoffte. Ich bin jemand der sich sehr gern mit Menschen unterhält. Andere Meinungen einholt, dadurch seinen Horizont erweitert, diskutiert, auch mal emotional streitet. Was ich nicht ab kann sind Pauschalisierungen, Klischees und blinde Provokation. Und um nichts anderes geht es seit Tagen auf der Seite von ING-DiBa.
Menschen die Fleisch essen sind egoistische mitleidlose „Leichenfresser“. Vegetarier sind humorlose radikale „Blumenfutterer“.
Was für ein Mist.
Update (17.01.12)
Am 11.01.12 wollte die ING-Diba laut Unternehmenssprecher André Kauselmann im W&V-Interview „nichts zensieren. Denn die Attraktivität des Postens auf unserer Seite liegt in ihrer hohen Visibilität.“
Seit heute bewertet man das Thema dort offensichtlich anders. Ab sofort werden alle Meldungen zu besagtem Thema gelöscht. Allerdings besteht natürlich weiterhin Diskussionsmöglichkeit in den bestehenden Threads, auf die explizit hingewiesen wird. Diese Meldung wurde vor einer Stunde auf der Facebook-Page der ING-Diba veröffentlicht:
Im Prinzip entspricht das dem Vorgehen, das ich oben vorgeschlagen hatte. Von daher ist meine Einschätzung zu diesem Vorgehen hier hinfällig. 😉
vielen Dank für den Beitrag. Grundsätzlich stimme ich Ihnen zu – die DiBa hätte darauf nicht vorbereitet sein können und aufgrund des enormen Tempo´s hätte auch ein gutes Monitoring nichts gebracht.
Ich glaube allerdings, dass ein Moderieren in der aktuell aufgeladenen Lage eher kontraproduktiv, weil zu spät, wäre. Das hätte schon einige Tage früher und konsequent kommen müssen. Wenn man die Diskussion auf eine separate Tab Page verlagern möchte, muss man das mit Nachdruck tun und alle anschließenden Posts auf der Pinnwand löschen, die sich weiter mit dem Thema befassen. Und genau das wollen sie ja nicht tun. Im Moment stecken sie also fest und können nur hoffen, dass die Nutzer irgendwann die Lust daran verlieren und sich das Thema von allein tot tritt.
VG Jan Pötzscher
Hi Jan,
genau das schrieb ich ja auch. Jetzt nicht mehr moderieren sondern kanalisieren. Und das würde natürlich bedeuten, sich des Themas anzunehmen statt laufen zu lassen. Aber meiner Meinung nach ist das im Sinne des Unternehmens, das derzeit keine Möglichkeit hat effektiv seine Nachrichten zu platzieren. Aber offensichtlich verfolgt die ING-DiBa eine andere Strategie. 😉
ja die Strategie der DiBa würde mich auch brennend interessieren 🙂
Krisenmanagement sieht für mich irgendwie anders aus, aber gut, vielleicht haben sie ihre Ziele ja entsprechend angepasst 😉
P.S: Mit diesem Interview in der WUV mit Unternehmenssprecher André Kauselmann ist glaub ich auch alles gesagt http://www.wuv.de/nachrichten/unternehmen/ing_diba_und_die_facebook_veganer_wir_wollen_nichts_zensieren